foto: channelshift.de

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Sonntag, 31. Januar 2010

Dritter Eintrag.

Um kurz vor 9 Uhr am Morgen des 7. Juli explodierte eine Bombe in der Londoner U-Bahn. Ein kleines Mädchen im grünen Kleid mit einem schwarzen Raben darauf, wurde durch die Druckwelle gegen die Metallwand des Zugabteils geworfen und war sofort tot. Die Eltern hatten mit dem Mädchen Urlaub gemacht. Es war ihr erster Besuch der englischen Hauptstadt.

Ich erfuhr es erst am Abend. Über das Telefon erhielt ich die Information, dass sowohl die Eltern als auch meine kleine Schwester definitiv in London bei einer Explosion ihr Leben verloren haben. Der Nebel kroch durch den Hörer in mein Leben, er schlängelte sich um meine Füße. Am Anfang war ich wie betäubt und ich bemerkte ihn nicht. Das Licht war aus. Als ich meine Augen durch Zwang wieder öffnen musste, sah ich den Nebel. Mit jedem Tag wurde er dichter. Er stieg über meine Knie, erreichte meinen Bauchnabel. Die kleinen Dinge nahm ich schon nicht mehr wahr. Dann, nach etwa zwei oder drei Wochen war der Nebel bis zu meiner Stirn angestiegen. Ich war wie blind. Ich taumelte. Alles was ich sah war grau und nur Personen die mir sehr nahe standen konnte ich erkennen. Doch ich erschrak so sehr, wenn sie aus dem Nebel auftauchten, dass ich sie bald nicht mehr ertragen konnte.

Nach weiteren Wochen begann ich etwas Neues im Nebel zu erkennen. Ein rotes Glühen in der Ferne. Endlich konnte ich mich wieder an etwas orientieren. Ich hatte genug getaumelt. Ich sah meine Chance und griff zu. Hass und Wut glühten durch den grauen Schleier. Mein Leuchtturm.

Schaltest du manchmal das Licht aus, damit du dich nicht selbst sehen musst? Fühlt es sich zu echt an, wenn alles, dass du Lieben gelernt hast sich verändert?

Freitag, 29. Januar 2010

Zweiter Eintrag.

Ich möchte euch von meiner Schwester erzählen.

Als ich sie zum letzten Mal gesehen habe war ich noch an der Universität eingeschrieben und studierte Germanistik. Kurz darauf begannen die Worte an Bedeutung zu verlieren.

Es war im Frühling und ich war mit ihr in den Park gegangen. Die Sonne schien zum ersten Mal in diesem Jahr so intensiv, dass man wusste, der Winter war nun endgültig vorüber. Meine Schwester hatte ihre kleinen Schuhe ausgezogen, weshalb wir durch das Gras gingen und ich sie auf meinen Schultern tragen musste, falls wir, um auf eine andere Grünfläche zu gelangen, die asphaltierten Wege überquerten. Meine Schwester war damals 6 Jahre alt. Sie trug ein leuchtend grünes Kleid, dass ihre Mutter für heute aus dem Schrank gelegt hatte, in weiser Voraussicht etwaiger Grasflecken. Mitten auf dem Kleid war ein großer Rabe.

Meine kleine Schwester war für mich Glück. So wie ich sie zum letzten Mal gesehen habe wird sie für immer in meiner Erinnerung bleiben. Ein Mädchen von 6 Jahren, mit dunkelblondem Haar, zwei geflochtenen Zöpfen und großen dunklen Augen. Das unschuldige Kichern, die Milchzähne. All das ist eingefroren, für immer konserviert. Meine Schwester hat keine Möglichkeit mehr sich zu verändern, sie ist für immer eingesperrt in dieser Erscheinung eines 6 Jährigen Mädchens. Vom Leben noch kaum berührt. In diesem Bild unserer Kinder sollten wir Hoffnung schöpfen, Liebe entwickeln und Vergebung empfinden. Doch alles ist umgedreht in mir. Wem würde es anders ergehen? Nach ihrem Tod musste ich handeln. Ein Feigling wer nur immer vergibt. Meine Schwester ist jetzt 10 Jahre alt und sie ist es nicht. Ist es niemals. Ich sehe sie, aber sie ist bloß Erinnerung und wenn ich die Augen öffne, ist sie weg.

Grelles Licht und ein Blitz, sie tun ihr wieder weh. Sie hat nicht geschrieen, sie hat keinen Ton von sich gegeben. Sie war meine Schwester.

- Jonathan

Donnerstag, 28. Januar 2010

Erster Eintrag.

Ich heiße Jonathan Einsam. Auf diesem Blog möchte ich meine Geschichte erzählen. Ich will euch erzählen wie ich in die Situation geraten bin, in der ich mich jetzt befinde. Auch möchte ich ehrlich zu euch sein. Ich bin kein Edmond Dantès, Dass mir die Freiheit genommen wurde, ist eine logische Konsequenz aus den Taten die ich in der Vergangenheit begangen habe. Über diese Vergangenheit möchte ich schreiben, doch es wird Zeit brauchen und um die Wahrheit zu sagen: Hier drinnen gibt es nicht viel zu tun, und ich würde die Momente in denen ich eventuell etwas Bedeutsames zu sagen habe gerne auskosten. Um mich wirklich verständlich zu machen muss die Geschichte, die ich zu erzählen habe auch von vielen Seiten beleuchtet werden. Ich will mich nicht herausreden, ich habe getan was ich getan habe. Aber es ist nicht die Tat, die in Erinnerung bleiben soll, sondern die Motive, die Irrwege und Fehltritte, die Verführungen und Glücksmomente.

Meine Gelenke schmerzen vom Schreiben mit dem kleinen Bleistift, den sie mir geben. Euer Glück, dass ihr nicht meine zittrige Schrift entziffern müsst. Der Raum dem ich zugeteilt wurde (ich scheue mich noch immer es ‚mein’ Zimmer zu nennen) ist kaum größer als ein Schuhkarton. Ich habe ein schmales Bett, mit ewig weißen Laken, ein kleines Waschbecken aus weißer Keramik. In der einen Ecke ist ein kantiger Schrank aus hellem, dünnen Sperrholz, in der anderen ein winziger Tisch. Auf diesem Tisch liegt nun das lose Papier auf dem ich diese Zeilen schreibe. Der Boden besteht aus grau-weißem Linoleum. Das Klo befindet sich direkt neben der Türe. Es ist aus blassem Stahl. Der einzige Grund warum ich noch nicht wahnsinnig bin ist jedoch das große vergitterte Fenster, am Kopfende meines Bettes. Abgesehen vom Schreiben dieser Worte gibt es keinen Grund sich in dem Raum aufzuhalten und nicht aus dem Fenster zu blicken…

Soviel zu meiner heutigen Situation, ich werde nun den besten Zeitpunkt zum Einstieg in meine frühere Situation überlegen. Ich hoffe es hört mich jemand. Ich schreibe um euch zu erreichen. Jeden Morgen wache ich auf und es ist Sonntag. Sonntags gibt es nichts zu tun.


- Jonathan

Erklärung

[[[[ Dieser Blog ist Teil eines Programms zur besseren Resozialisierung von Langzeit-Inhaftierten. Die Einträge auf diesem Blog die nicht mit eckigen Klammern [ ] gekennzeichnet sind, stammen von dem Inhaftierten Jonathan Einsam. Der Inhaftierte hat zu keiner Zeit einen Zugang zum Internet. Er schreibt die Einträge dieses Blogs auf Papier und diese werden dann von einem Admin auf dieser Seite veröffentlicht. Die Administration behält sich das Recht auf Änderungen des Inhalts vor, falls es sich bei besagtem Inhalt um eine Verletzung der Privatsphäre anderer Inhaftierter, genauere Angaben zu Aufenthaltsort des Inhaftierten und sonstige Namen, die auf die Identität der Justizanstalt zurück schließen lassen, handelt. Falls es zu Änderungen kommt, werden diese selbstverständlich durch die eckigen Klammern erkenntlich gemacht.

Die Idee dieses neuen Projekts ist der Austausch von Inhaftiertem und freien Usern mit Hilfe eines Blogs. Der Inhaftierte Jonathan Einsam möchte auf diesem Blog seine persönliche Geschichte einem breiten Publikum zugänglich machen. Etwaige Kommentare zu den Einträgen des Inhaftierten werden so weit es der gesunde Menschenverstand zu lässt direkt an den Inhaftierten weitergeleitet. Eine Resonanz auf die Beiträge des Inhaftierten ist ausdrücklich erwünscht und Teil des Projekts. ]]]] - Admin.